Ein aktuelles Forschungsprojekt im Nationalpark Donau-Auen zeigt auf, dass jede Tiergruppe bei intensiver Beschäftigung interessante Erkenntnisse liefert – ob groß oder klein.
Hochwasser im Nationalpark Donau-Auen
Ameisen sind als weltweit verbreitete Tiere mit sehr unterschiedlichen Eigenschaften ein beliebtes und vielfach studiertes Forschungsobjekt. In meiner Masterarbeit gehe ich der Frage nach, welche heimischen Ameisenarten mit Hochwasserereignissen und Überflutungen ihres Lebensraums zurechtkommen. Aufgrund der Teilung des Nationalparks durch den Marchfeld-Schutzdamm in einen regelmäßig dem Hochwasser ausgesetzten Bereich und einen vor Hochwasser geschützten Bereich eignet sich der Nationalpark Donau-Auen besonders gut als Forschungsstandort.
Auen sind durch die typischen, regelmäßig auftretenden Überflutungsereignisse gekennzeichnet. Diese Überflutungen haben einen enormen Einfluss auf die gesamte in diesem Bereich vorkommende Flora und Fauna.
Ameisen, als meist bodenlebende, standortfixierte und im Normalfall (mit Ausnahme der Geschlechtstiere zur Paarungszeit) nicht flugfähige Arthropoden sollten erwartungsgemäß von Überschwemmungen ihres Lebensraums stärker betroffen sein als beispielsweise flugfähige Insekten.
Abhängig von der Art besiedeln Ameisen nicht nur verschiedene Lebensräume, sondern besitzen sehr spezifische Eigenschaften bezüglich Koloniegründung, Koloniegröße, Standorttreue und Ernährungsweise. Durch die großen Unterschiede in der Lebensweise der einzelnen Arten ist auch eine sehr unterschiedliche Reaktion auf eine Störung des Habitats zu erwarten.
Für die meisten Ameisenarten stellt die Überflutung ihres Lebensraums eine große, manchmal nicht zu überwindende Herausforderung dar. Einige Arten, die ein großes, permanentes Nest auf dem Boden errichten, wie beispielsweise die Rote Waldameise Formica rufa, haben keinerlei Strategie um mit Hochwasser umzugehen und können deshalb in einem Lebensraum, der regelmäßig überflutet wird, nicht dauerhaft überleben. Baumlebende Arten oder Arten mit kleiner Koloniegröße und flexiblen Nestern haben hingegen besser Chancen, sich während einer Überflutung in einen trockenen Bereich zurückzuziehen und das Hochwasser zu überleben. Manchen Arten, wie die Rote Gartenameise Myrmica rubra, besitzen spezielle Verhaltensweisen als Anpassung an Überflutungen. Falls das Nest dieser Art überflutet wird, bilden die Arbeiterinnen mit ihren Körpern ein lebendes Floss, auf dem die Königin in Sicherheit transportiert wird.
Fallen aufstellen und Sammeln von Ameisen
Der Marchfeld-Schutzdamm trennt den Nationalpark Donau-Auen in einen „trockenen“ nördlichen und einen dem normalen Hochwasser ausgesetzten südlichen Teil. Durch eine „Inventur“ der Ameisenarten auf beiden Seiten lässt sich ein Rückschluss darauf ziehen, welche Ameisenarten mit regelmäßigen Überflutungen zurechtkommen und welche Arten nicht.
Auf beiden Seiten des Dammes wurden im Sommer in vergleichbaren Habitaten Ameisen gesammelt. Aufgrund der schon erwähnten Vielfalt in der Lebensweise von Ameisen, lohnt es sich, mehr als eine Sammelmethode zu verwenden, um möglichst viele verschiedene Arten zu sammeln.
Für die Durchführung dieser Studie wurden Bodenfallen aufgestellt und Streuproben gesammelt.
Als Bodenfallen wurden kleine Plastikbecher mit einer Rum-Honig-Mischung im Boden vergraben. Ein feinmaschiges Drahtgitter verhindert, dass größere Tiere in die Fallen gelangen. Die Rum-Honig-Mischung dient als Lockstoff und gleichzeitig als Konservierungsmittel für die Ameisen, welche in die Becher fallen. Mithilfe dieser Fallen lassen sich vor allem Ameisenarten fangen, die selber aktiv auf Nahrungssuche gehen.
Allerdings wirkt der Geruch von Honig-Rum nicht nur auf Ameisen anziehend, sondern lockt auch deutlich größere Tiere an. So mussten viele Fallen mehrmals ausgelegt werden, weil sie von Wildschweinen ausgegraben wurden.
Die zweite in dieser Untersuchung verwendete Sammelmethode war das Sammeln von Bodenstreu. Die Streuproben wurden in sogenannten Winklersäcken mit feinmaschigen Netzen aufgehängt und für mehrere Tage unter einer Lichtquelle aufgehängt und getrocknet. Durch das Austrocknen und Erwärmen des Streus wandern die sich darin befindlichen Ameisen immer weiter nach unten (weg von der Hitzequelle), bis sie schließlich durch das Netz in einen sich darunter befindlichen Auffangbehälter fallen.
In der Streuschicht finden sich häufig deutlich kleinere Ameisenarten die z.B. parasitär von anderen Ameisenarten leben und nicht von der Honig-Rum-Mischung angelockt werden. Ein Beispiel hierfür ist die Gelbe Diebsameise Solenopsis fugax, die häufig in der Nähe anderer Ameisenarten nistet und kleine Gänge in die fremde Kolonie baut um dort deren Beute, Eier und Larven zu rauben. Aufgrund der geringen Größe der Diebesameise sind die Gänge so eng, dass die ausgeraubte Ameisenart den Dieben nicht durch die Gänge folgen kann.
Verschiedene Lebensweisen
Spannend ist die Forschung an Ameisen schon alleine deshalb, weil diese Tiere so eine große Bandbreite an unterschiedlichen Lebensweisen besitzen. Manche Arten leben bekanntermaßen in Symbiose mit Blatt- und Schildläusen, von deren Honigtau sie sich ernähren. Wieder andere Arten, wie die im Nationalpark vorkommende Amazonenameise Polyergus rufescens, leben davon, andere Ameisenarten zu überfallen und geraubte Arbeiter als „Sklaven“ zu halten und für sich arbeiten zu lassen. Einige Arten bleiben nach der Koloniegründung für immer am gleichen Standort und bauen dort über mehrere Jahre die bekannten Ameisenhügel, während andere Arten eine so geringe Kolonie- und Körpergröße besitzen, dass sie ihr Nest in einer hohlen Eichel errichten und einfach „umziehen“ können. Diese sehr verschiedenen Lebensweisen sind natürlich ein Grund, weshalb manche Arten mit der Störung ihres Habitats durch eine zeitweilige Überschwemmung besser zurechtkommen als andere. Die Zerstörung eines über einen langen Zeitraum aufgebauten Nestes wiegt deutlich schwerer, als der Aufwand, sich eine neue hohle Eichel zu suchen.
Durch das Bestimmen der gesammelten Ameisen lässt sich vergleichen, welche Arten nur im nördlichen, „trockenen“ Teil des Nationalparks vorkommen und welche Arten auf beiden Seiten des Dammes überleben können.
Bestimmung der einzelnen Arten
So vielfältig die Lebensweisen von Ameisen sind, so vielfältig ist auch ihr Erscheinungsbild. Aufgrund ihrer doch meist geringen Größe ist die Unterscheidung einzelner Arten mit bloßen Auge oftmals sehr schwierig. Bei Untersuchungen im Freiland kann mithilfe einer Lupe mit mindestens 10-facher Vergrößerung oftmals eine Bestimmung auf Gattungsebene durchgeführt werden. Weitere Eigenschaften, die im Freiland zu beobachten sind und eine direkte Bestimmung ermöglichen sind Körpergröße, Färbung, Laufgeschwindigkeit, Aggressivität, Habitat und Nestbauweise.
Die sicherste Bestimmung von Ameisen gelingt jedoch unter einem Mikroskop. Neben Körpergröße und Färbung können hier viele weitere Merkmalsausprägungen detailliert untersucht werden, die oftmals zur Unterscheidung von Arten der gleichen Gattung notwendig sind. Typische Merkmale, die hierbei untersucht werden, sind beispielsweise die Ausprägung der Mundwerkzeuge und „Bezahnung“, die Anzahl der Antennenglieder, Kopfform und das Vorhandensein und die Länge von Borsten auf verschiedenen Körperteilen. Zur Identifikation der Arten werden auch häufig die Größenverhältnisse einzelner Körperteile miteinander verglichen, z.B. die Größe der Augen im Verhältnis zum Kopf oder Länge des Antennenschafts im Verhältnis zur Kopfgröße.
Das Bestimmen einer großen Menge Ameisen per Mikroskop ist natürlich zeitaufwendig, gleichzeitig allerdings auch sehr spannend, da man auf diese Art einen interessanten Einblick in die große Vielfalt dieser faszinierenden Tiere bekommt.
Björn Matthies
Forscher im Nationalpark Donau-Auen im Zuge seiner Masterarbeit
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